Flug wegen Corona annulliert - Airlines reagieren bei der Rückerstattung von Flugtickets kaum oder nur mit Gutscheinen


Airlines schulden ihren Kunden während der Coronakrise Milliarden von Franken. Sie leisten zurzeit kaum Ticketrückerstattungen für annullierte Flüge und schaden damit Flugpassagieren und Reiseveranstaltern. Auch wenn die finanzielle Lage für die Airlines überaus problematisch ist, sollten nicht die Kunden dafür die Zeche bezahlen. Denn das Problem hat nicht nur mit Corona zu tun.

Quelle: nzz.ch (02.05.2020)
Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie blühte das Fluggeschäft, und die Airlines verkauften Tickets in einem Ausmass wie nie zuvor. Aber jetzt finden die Flüge wegen der Pandemie nicht statt. Deshalb hätten viele Kunden gerne ihr Geld zurück, doch damit lassen sich die Airlines viel Zeit. Airlines haben fast keine Einnahmen mehr, während viele Kosten weiterlaufen, etwa für den Unterhalt der Flugzeuge. Die Zeche dafür sollten jedoch nicht die Endkunden, also die Passagiere, bezahlen. Die Fluggesellschaften haben mit ihrem Geschäftsgebaren auch die Reiseveranstalter in die Zwickmühle gebracht.

Gemäss Schweizer Pauschalreisegesetz müssen diese die Kunden «schnellstmöglich» entschädigen, wenn sie eine Pauschalreise, die etwa aus einem Flug und Hotelübernachtungen besteht, nicht durchführen können. Die grossen Anbieter – in der Schweiz sind das Kuoni, Hotelplan und TUI – befolgen das Gesetz angeblich und zahlen das Geld für Pauschalreisen zurück, auch wenn das nicht mit derselben Geschwindigkeit geschieht wie in normalen Zeiten.


Gutschein oder Geld?
Sie selbst erhalten das Geld von den Airlines aber erst mit einer monatelangen Verspätung oder warten vergebens darauf. Seit Wochen verwendet die Fluggesellschaft Swiss dieselben Standardfloskeln, wenn man sie auf diesen Missstand anspricht: Die Erstattung der Ticketpreise könne wegen der hohen Nachfrage nicht in den üblichen Fristen erfolgen, sagt ein Sprecher der Firma. Das nährt selbstverständlich den Verdacht, der Airline gehe es auch darum, die angespannte Liquidität zu schonen.

Grosse Reiseveranstalter können die Verzögerung vorerst verkraften, zumal beispielsweise TUI Finanzhilfe vom deutschen Staat erhalten hat. Dramatischer ist die Lage dagegen für kleine Reisebüros. Mit Trips ab der Stange wie einem Flug nach New York verdienen sie seit langem kein Geld mehr. Deshalb sind sie in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, sich auf Regionen zu spezialisieren und für die Kunden individuell passende Reisepakete zu schnüren.
Im Sinne des Gesetzes sind sie durch diese Bündelung von Angeboten ebenfalls zu Reiseveranstaltern geworden und müssten nun ihre Kunden entschädigen. Das ist aber nicht möglich, wenn die Fluggesellschaften sie hängenlassen. Experten sagen, die nationalen Behörden der EU-Länder seien sich nicht einig, wie die Airlines mit ihren Verpflichtungen umgehen sollen. Offenbar gibt es Länder, die gegenüber den Fluggesellschaften milde gestimmt sind und ihnen erlauben möchten, die Passagiere mit Gutscheinen zu entschädigen. Andere Staaten verfolgen eine harte Linie und möchten die Airlines dazu verpflichten, den Passagieren die Ticketkosten zu erstatten. Derzeit spüre man nichts von europäischer Einigkeit in dieser Frage, sagt ein Flugexperte, der bei Gesprächen auf europäischer Ebene anwesend war.

Aus Wettbewerbssicht wäre allerdings eine einheitliche Lösung des Problems in der EU geboten. Sonst erlangen diejenigen Fluggesellschaften einen Konkurrenzvorteil, welche die Passagiere mit Gutscheinen abspeisen dürfen und so ihre Liquidität schonen können.
Falsche Anreize für Airlines
Sobald die Corona-Pandemie ausgestanden ist, werden die Politiker deshalb kaum darum herumkommen, die Zahlungsmodalitäten im Fluggeschäft zu hinterfragen. Wenn heute Reisende Tickets kaufen, landet das Geld innerhalb weniger Tage über das System des Branchenverbandes Iata namens BSP bei der Airline. Je nach Reisezeitpunkt liegt der Betrag dann monatelang auf einem Konto der Fluggesellschaft. Und in dieser Zeit kann, wie man nun sieht, vieles geschehen.

Die Zahlungsfristen im Fluggeschäft waren schon vor Ausbruch der Pandemie umstritten, bloss übte niemand genügend Druck auf die Airlines aus. Diverse Fluggesellschaften sind in den vergangenen Jahren in Konkurs gegangen (Germania, Monarch, Air Berlin, British Midland Airways), und Touristen sowie Reiseveranstalter haben dadurch viel Geld verloren.

Ein Grund für diese Konkurswelle besteht darin, dass die Zahlungsmodalitäten im Airline-Geschäft falsche Anreize setzen. Für Fluggesellschaften, die knapp bei Kasse sind, ist unter dem herrschenden Regime die Verlockung gross, Flugtickets zu vergleichsweise niedrigen Preisen zu verschleudern. So sichern sie sich kurzfristig Liquidität, gehen aber das Risiko ein, mittelfristig erst recht in finanzielle Turbulenzen zu geraten. Gerade Air Berlin versuchte sich mit einer solchen Vertriebsstrategie zu retten.

Den Schaden hatten die Schnäppchenjäger unter den Flugpassagieren – und nicht selten die Staaten, die von der Öffentlichkeit dazu gezwungen wurden, die Passagiere zu entschädigen.

Deshalb ist es erstaunlich, dass Länder gegenüber Fluggesellschaften nicht schon längst strengere Saiten aufgezogen haben. Reiseveranstalter beispielsweise kennen einen sogenannten Garantiefonds. Er entschädigt Touristen, wenn ein Veranstalter Insolvenz anmeldet. Zur Diskussion stand auch schon, ob die Airlines erst dann auf das Geld der Passagiere zugreifen dürfen, wenn der Flug stattgefunden hat.

Beides wären Massnahmen, welche die Airlines in ihrer Geschäftspolitik einschränken würden und die man durchaus als Überregulierung ansehen kann. Allerdings geben die Airlines mit ihrem Cash-Management seit einiger Zeit ein schlechtes Bild ab. Sie vermitteln den Eindruck, als würden sie das Geld, das sie für künftige Leistungen bekommen haben, für den laufenden Betrieb verwenden. «Diese Gepflogenheit erinnert an eine Art Schneeballsystem», sagt Max E. Katz, Präsident des Schweizer Reiseverbandes und ehemaliger Finanzchef von Kuoni.

Nach wochenlangem wirtschaftlichem Stillstand geht es mittlerweile um viel Geld. Die Iata schätzt, dass die Fluggesellschaften mit Ticketverpflichtungen von 35 Mrd. $ in die Pandemie geflogen sind.