Flugverspätungen und Annullationen: Entschädigungen von Schweizer Fluggesellschaften lassen zu wünschen übrig


Kunden der Fluggesellschaften Swiss, Edelweiss oder Chair haben bei Verspätungen und Annullationen ein klares Nachsehen. Obwohl ein EU-Abkommen eine Entschädigung vorsieht, können Flugreisende hierzulande ihre Forderung nur mit Mühe durchsetzen.

Wann besteht Anspruch auf eine Entschädigung?
Prinzipiell gilt für alle Airlines, die von einem Schweizer oder EU-Flughafen starten, die EU-Verordnung 261/2004, welche Überbuchungen, Annullierungen oder grosse Verspätungen regelt. Sie gilt auch für alle Flüge einer Schweizer oder EU-Fluggesellschaft in die Schweiz oder in die EU-Länder.

Sofern die Gründe nicht auf höhere Gewalt wie Wetter, Streik, Terror, Krieg oder politische Unruhen zurückzuführen sind, sieht die EU-Verordnung 261/2004 die nachfolgenden Entschädigungen vor.
Wie sich Schweizer Fluggesellschaften vor Ausgleichszahlungen drücken
Passagiere der Swiss, Edelweiss oder Chair Airline profitieren davon allerdings reichlich wenig. Wie auch die NZZamSontag berichtet, sorgt deren Handhabung von Entschädigungen für viel Verwirrung und gefühlter Ungerechtigkeit bei ihren Kunden. Während sich beispielsweise die Lufthansa strickt an die EU-Konsumentenrechte hält, wollen die Schweizer Schwestergesellschaften hingegen grundsätzlich keine Entschädigungen bei Verspätungen zahlen.
Deren Begründung stützt sich auf folgende rechtlichen Entwicklungen: Die Verordnung 261/2004 des Europäischen Parlamentes wurde im Rahmen des Luftverkehrsabkommens mit der Europäischen Union (EU) von der Schweiz übernommen und gilt seit Dezember 2006 auf allen Flügen ab der Schweiz. Der ursprüngliche Gesetzestext der EU-Verordnung 261/2004 sieht gemäss dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) keine Ausgleichszahlung im Falle von Verspätungen vor. Diese sei gemäss dem Wortlaut "lediglich" bei Annullierungen zwingend vorzunehmen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Geltungsbereich der EU-Verordnung 261/2004 in den letzten Jahren jedoch stetig zugunsten der Reisenden ausgeweitet. So liegen mittlerweile spätere Gerichtsentscheide vor, in welchen steht, dass auch ab einer Ankunftsverspätung von mindestens 3 Stunden ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung besteht.

Gemäss Art. 1 Abs. 2 des Luftverkehrsabkommens Schweiz-EU bilden die zu einem späteren Zeitpunkt getroffenen Entscheide zwar eine wichtige Grundlage für die Auslegung des relevanten EU-Luftrechts durch schweizerische Bundesbehörden und Gerichte, doch vermögen sie diese grundsätzlich nicht zwingend zu binden. Aus diesem Grund sehen sich Schweizer Fluggesellschaften nicht in der Verantwortung, bei allen Verspätungen eine Ausgleichszahlung zu erbringen.
Die Urteile von Bülach und Basel
Schweizer Gerichte übernehmen die genannte Ausdehnung des Geltungsbereichs nicht und legten in vergangenen Verfahren sogar Teile der ursprünglichen Verordnung restriktiver aus als der EU-Gerichtshof. Konkret stützen sich die Fluggesellschaften Swiss, Edelweiss und Chair auf drei zivilrechtliche Urteile von Basel (2011/2012) und Bülach (2016), die in der Fachwelt jedoch äusserst umstritten sind.
Auch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) zweifelt an deren Auslegung der EU-Verordnung 261/2004 und erklärt: «Das Zivilgericht Basel-Stadt befand in seinem Urteil vom 15. Mai 2012, die EU-Verordnung sei nur auf Flüge zwischen der Schweiz und der EU anwendbar, nicht aber auf Flüge von und zu sogenannten Drittstaaten. Das BAZL teilt diese Ansicht im Grundsatz nicht und hat dies den Fluggesellschaften seinerzeit entsprechend kommuniziert.»

Unsere Erfahrung zeigt, dass Schweizer Fluggesellschaften Entschädigungsforderungen - sei es aufgrund einer Annullation oder Verspätung - mit grosser Willkür gutheissen oder ablehnen. So stützen sich die Airlines teilweise auf die genannten Urteile und verweigern eine Ausgleichzahlung, während sie bei anderen Passagieren vom gleichen Flug einer Forderung zusagen.
Ein Ende in Sicht?
Eine Klärung der widersprüchlichen Situation über den Rechtsweg ist nicht in Sicht. Die betroffenen Fluggesellschaften setzen alles daran, dass keine neuen begründeten Urteile zum Wohle des Flugpassagiers zustande kommen und es bei den problematischen Urteilen von Basel und Bülach bleibt. Fakt ist, dass die Rechte und der Schutz für Schweizer Flugreisende immer noch nicht dem Niveau der EU entsprechen.
Wer sich in seinen Rechten als Fluggast verletzt fühlt, kann beim BAZL Anzeige erstatten.

Die Luftfahrtbehörde kann aufgrund der Gewaltenteilung zwar keine zivilrechtlichen Klagen zugunsten von Reisenden einleiten, trotzdem kann sie als Aufsichtsbehörde weiter Druck auf die Airlines ausüben.